Lebens- und Arbeitsbedingungen sowjetischer Kriegsgefangener
Gedenkstätte Esterwegen: Studie des Co-Leiters Martin Koers veröffentlicht
Esterwegen. In ihrer Schriftenreihe veröffentlicht die Gedenkstätte Esterwegen nun den von Co-Gedenkstättenleiter Martin Koers verfassten Band „Sowjetische Kriegsgefangene in den Lagern des Emslandes und der Grafschaft Bentheim 1941–1945“. Die als Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum unter der Betreuung von Prof. Dr. Bernd Faulenbach entstandene Studie beleuchtet erstmals umfassend die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowjetischer Kriegsgefangener in den Kriegsgefangenenlagern im Emsland und der Grafschaft Bentheim.
Sowjetische Soldaten bildeten während des Zweiten Weltkriegs die größte Gruppe der Kriegsgefangenen in den Emslandlagern. Sie starben zu Tausenden an unzureichender Ernährung, harter Arbeit und menschenunwürdiger Behandlung. Auch der Zwangsarbeitseinsatz im regionalen Umfeld der Emslandlager forderte zahlreiche Tote. Vor allem jedoch im Bergbau und in der Kriegsproduktion der Rhein-Ruhr-Region mussten die Kriegsgefangenen Schwerstarbeit leisten, bis sie zusammenbrachen und zum Sterben in die Emslandlager zurückkehrten. Ihre Schicksale waren bislang in vielen Bereichen nur unzureichend erforscht und dokumentiert.
Koers ordnet die regionale Situation in den Gesamtkontext des Kriegsgefangenenwesens der Wehrmacht und des Arbeitseinsatzes im Wehrkreis VI Münster ein. Er zeichnet erstmals umfassend Lebenswege und Biografien auf, stellt detailliert die Transporte sowie Arbeitskommandos dar und wertet die Zahl der Toten statistisch aus. Es entsteht ein klares Bild von der Funktion der Lager und der Ausbeutung der Arbeitskraft bis in den Tod.
Sowjetische Kriegsgefangene galten bislang – auch in der Forschung – als eine vermeintlich homogene Masse. Diese Studie zeichnet ein sehr viel detaillierteres Bild ihres Lebens in Lagern und Arbeitskommandos, benennt Verweildauer, Lebenserwartung nach der Ausbeutung in der Zwangsarbeit und Todesursachen und skizziert mehr als 29.000 Biografien.
Die erstmalige Zusammenstellung der Kommandanten der emsländischen und bentheimischen Stammlager bietet zudem Ansatzpunkte für eine vertiefte Täterforschung.
Auch die Räumungsmärsche zum Ende des Krieges, die Befreiung der Überlebenden und die Nachkriegszeit werden kurz beleuchtet. Die umfassenden Recherchen werden durch Berichte regionaler Zeitzeugen und bisher weitgehend unveröffentlichtes Bildmaterial bereichert.
Fünfzehn Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager unterhielt der NS-Staat im Emsland und der Grafschaft Bentheim zwischen 1933 und 1945. Als Haftstätten mit wechselnden, sich zeitlich überschneidenden Funktionen existierten neben den frühen Konzentrationslagern und den Strafvollzugslagern unter Aufsicht der Justizverwaltung ab 1939 auch neun Kriegsgefangenenlager des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) - die sogenannten Stammlager (Stalags) VI B und VI C.
Martin Koers, geb. 1973, ist Historiker, seit 2021 Co-Leiter der Gedenkstätte Esterwegen und Archivar der Gemeinde Geeste.
Veröffentlichungen u. a.:
1945 / 2025. 80 Jahre Kriegsende und Befreiung: Die Emslandlager, Werlte/Esterwegen 2025 (Mithg.). Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933 – 1945, Göttingen 2025 (Mithg.). Zwangsarbeitertransporte und niederländische »Zivilarbeiter« bei der Bentheimer Eisenbahn, in: Eugen Kotte / Christian Lonnemann (Hg.): Die Bentheimer Eisenbahn im »Dritten Reich«, Münster 2025, S. 119–148. Kriegerische Volksgemeinschaft. Städtische und ländliche Gesellschaft in der Region Lingen während des Zweiten Weltkriegs, in: Dietmar von Reeken (Hg.): Lingen im Nationalsozialismus, Münster 2025, S. 381–427.