24.04.2015

Kein sinnleeres "Kästchenkreuzen" mehr

Fachkonferenz im Landkreis Emsland befasst sich mit neuer Pflegedokumentation

Meppen. Staatssekretär Karl-Josef Laumann appellierte an die Pflegeanbieter, sich für die schlanke Dokumentation zu entscheiden und auch zahlreiche weitere kompetente Referenten befassten sich mit der „Entbürokratisierung der Pflegedokumentation“. Auf der 35. Pflegekonferenz des Landkreises Emsland, die in Lingen stattfand, informierten sich rund 430 Teilnehmer über diese neue Entwicklung im Bereich der Pflegeerfassung.

Sozialdezernentin Dr. Sigrid Kraujuttis hieß Pflegeanbieter und Vertreter von Heimaufsichtsbehörden aus ganz Niedersachsen willkommen. Mit dabei waren auch 130 Auszubildende der emsländischen Altenpflegeschulen und vom dualen Studiengang Pflege des Campus Lingen.

Landrat Reinhard Winter wies auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hin, wonach die Zahl der Pflegebedürftigen von 2009 bis 2030 um 60 Prozent im Landkreis Emsland steigen werde. Eine Entwicklung, die als Argument für eine „schlanke“ Dokumentation verstanden werden dürfe, wie er sagte.

Der anschließend referierende Staatssekretär Laumann brachte, gelegentlich humorvoll, mit klaren Ansagen seine Vorstellungen zur künftigen Pflege zum Ausdruck. Die Abschaffung der Pflegenoten und Einführung eines neuen Prüfsystems, die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation, eine übergreifende Ausbildung für Pflege und Gesundheit, die bessere Entlohnung von Pflegekräften und die Notwendigkeit der Vertretung von Fachpersonal durch eine Pflegekammer bildeten seine Kernaussagen. Besonders wichtig seien ihm aber vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Pflegebedürftigen und die Achtung ihrer Wünsche. Ziel müsse es sein, binnen 18 Monaten mindestens ein Drittel der Pflegeanbieter für die neue Form der Dokumentation zu gewinnen. Das jetzt eingerichtete Projektbüro solle bundesweit bei der Umsetzung unterstützen. Im Übrigen sei die Schulung von Multiplikatoren als Ansprechpartner für Pflegeanbieter vorgesehen.

Friedhelm Rink, ehemaliger Projektkoordinator im Bundesgesundheitsministerium, machte deutlich, dass die Personal- und Sachkosten für die Pflegedokumentation bundesweit schon 2009 bei rund 2,7 Mrd. Euro lagen. Diese Kosten maßgeblich zu senken, vor allem aber die Pflegekräfte von überflüssiger Bürokratie zu entlasten, sei wesentliches Ziel der Initiative. In der Dokumentation soll auf Wiederholungen und „sinnleeres Kästchenkreuzen“ verzichtet werden, stattdessen sollen lediglich Abweichungen im Tagesablauf beschrieben werden. Wünsche des Heimbewohners sollen stärker in den Fokus rücken. Diese neuen Vorgaben gelten für die Grundpflege. Die Zeitersparnis beziffert er mit etwa einem Drittel des bisherigen Aufwands. In der Behandlungspflege müsse dagegen wegen des Haftungsrechts weiterhin wie bisher dokumentiert werden.

Bundesweit haben rund 60 ambulante und stationäre Pflegeanbieter die „schlanke“ Variante der Pflegedokumentation von September 2013 bis Februar 2014 getestet, darunter auch die Städtischen Seniorenheime Krefeld. Qualitätsbeauftragte Jana Frank-Manuciarean berichtete von den positiven Erfahrungen der Teilnahme mit 13 Bewohnern am Pilotprojekt. Die Mitarbeiter wurden entsprechend geschult, ein Leitfaden sowie die neuen Dokumente wurden ins Intranet eingestellt. Im Ergebnis erstellen die Städtischen Seniorenheime Krefeld seit Januar 2015 die Dokumentation ausschließlich in entbürokratisierter Form.

Den Blickwinkel des Haftungsrechts zur neuen Pflegedokumentation beleuchtete Alexandra Zimmermann, Fachanwältin aus Hannover. Sie machte klar, dass grundsätzlich der Geschädigte den Pflegefehler, den Schaden und die Kausalität zu beweisen hat. Dieser Grundsatz verkehre sich jedoch bei mangelnder Dokumentation ins Gegenteil. Im Rahmen typisierter Arbeitsabläufe sehe es die Rechtsprechung aber als zulässig an, seitens der Einrichtung auf die im System hinterlegten Ablaufbeschreibungen den „Immer-so-Beweis“ anzutreten. So sei es nicht erforderlich, Routinemaßnahmen und Selbstverständlichkeiten in der Grundpflege zu dokumentieren. Dies gelte aber nicht für die Behandlungspflege.

„Was nicht dokumentiert wurde, ist auch nicht gemacht worden.“ Jürgen Butzke vom Medizinischen Dienst (MDK) Niedersachsen machte deutlich, dass dieser alte Grundsatz künftig so nicht mehr gelte. Erforderlich sei jetzt eine so genannte „Strukturierte Informationssammlung“ (SIS) in sechs Themenfeldern mit Risikoeinschätzung sowie der Aufzeichnung der Abweichungen von den normalen Abläufen. Die „schlanke“ Dokumentation werde vom MDK mitgetragen. Einen „Welpenschutz“ während der Umstellung könne es nicht geben, betonte Butzke.

Bild 1 (v. l.): Jürgen Butzke vom Medizinischen Dienst Niedersachsen, Fachbereichsleiter Richard Peters vom Landkreis Emsland, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, Fachanwältin Alexandra Zimmermann, Landrat Reinhard Winter, Friedhelm Rink vom Bundesgesundheitsministerium und Sozialdezernentin Dr. Sigrid Kraujuttis.
 
Bild 2: Landrat Reinhard Winter (r.) überreicht Staatssekretär Karl-Josef Laumann einen Bildband vom Landkreis Emsland. (Fotos 2: Landkreis Emsland)